Wiederbelebung

Kurz bevor der Körper aufgibt, in der Phase zwischen Leben und Tod, kann es zu sehr ungewohnten Lautäusserungen kommen. In der einen Sekunde steht der Unfallhund noch hechelnd in der Notfall-Box und plötzlich hört man mit einem Ohr dieses leise Stöhnen. Ein Hauch, der aber durch Mark und Bein geht, als hätte der Hund geschrien. Er kollabiert.

In diesem Moment rennen alle los. Boxentüre auf. Der Hund wird hochgehoben. Panisch im Todeskampf beisst er um sich. Ich muss ihm die Schnauze zuhalten, um nicht verletzt zu werden. Auf den Tisch, Maul auf, Zunge raus, Laryngoskop, Epiglottis mit dem Spatel runterdrücken, 11er Tubus rein, blocken, beatmen, ans Narkosesystem anhängen, Sauerstoff aufdrehen, weiter beatmen. Er wird in eine Narkose gelegt, damit sich der Körper erholen kann, der Hund keine Angst mehr vor dem Ersticken haben muss. Auf den wenigen Lungenareale, mit denen er noch atmen kann, darf nicht auch noch sein Körpergewicht lasten. Mit dem Stethoskop auskultiere ich, wie er korrekt liegen muss. Wie ein Uhrwerk wird der Atembeutel mehrmals pro Minute gedrückt, immer in der Hoffnung, dass er plötzlich wieder selbstständig tiefe Atemzüge nimmt. Weitere Furosemidgaben. Weitere Medikamente. Immer wieder beatmen.

Inzwischen wissen wir, dass ein grosses Gefäss gerissen ist. Und stossen nun an unsere Grenzen. Ab hier gehen Human- und Tiermedizin getrennte Wege. Zu recht! Thoraxchirurgie mit Spezialisten, Drainagen legen, wochenlange Nachbehandlung, enormer Aufwand, exorbitant hohe Kosten, und vielleicht am Ende auch ein toter aber teurer Hund.

Der Besitzer muss nun entscheiden. Er ist unterwegs. Es ist nun ruhig im Raum, nur die Beatmungsgeräusche und der Sekundenzeiger der Uhr an der Wand sind zu hören. Mir geht in diesen Minuten vieles durch den Kopf. Auch wie wir den Hund in diesem Zustand in eine Spezialklinik fahren können. Aber der Hund ist nicht versichert. Und es kämen Kosten von über zehntausend Franken auf die Besitzer zu. Immer trennt uns das Geld von den Möglichkeiten der Humanmedizin. Und die Ethik. Wie will man einem Hund erklären, warum an seinem Oberkörper Schläuche hängen mit kleinen Ballonen dran, die mehrmals täglich entleert werden müssen? Ein schmerzhafter Prozess, der den Hund vielleicht auf immer negativ prägen wird. Oder warum er wochenlang im Tierspital liegen muss, getrennt von seinen Besitzern. Wenn er überhaupt überleben sollte.

Die Sauerstoffsättigung wird immer schlechter. Der Besitzer trifft ein. Für unglaubliche zwei Minuten atmet der Hund normal, die Sättigung steigt. Ein weiterer Moment kurz vor dem Tod?  Eine Reaktion auf den Besitzer? Beides ist nur spirituelle Spekulation. Danach muss er wieder beatmet werden. Bis der Besitzer entscheidet. Es ist sein Hund. Wir können nur die Möglichkeiten besprechen und eine Prognose stellen. Er spricht, ich nicke und dann leiten wir alles Nötige in die Wege.

10 Patienten zu “Wiederbelebung”

  1. Pia sagt:

    Ich glaube das ist der einzige Blog, der mich ab und zu zu Tränen rührt. Und um die Tränen wieder zu vertreiben: Schreibst Du für Grey’s Anatomy die Drehbücher?

  2. klaeui sagt:

    Zweimal gelesen, zweimal sind mir Tränen in die Augen geschossen… sehr schön geschrieben.

    Als Haustierloser bin ich etwas iritiert. Da hat man ein geliebtes Haustier – ich hoffe zumindest es ist so – und keine Kranken-/Unfallversicherung dafür!?

    Irgendwie bin ich froh, dass das Schweizer Gesetz vorschreibt, dass Menschen ab/vor Geburt eine Grundversicherung haben müssen!

  3. RELGIB sagt:

    Auch eine Form der Verarbeitung…

  4. Nachtlese sagt:

    Berührend. Und sehr beeindruckend, wie du diese physisch und psychisch anstrengende Situation wiedergibst. Manchmal finde ich es schade, dass du nicht auch Menschen behandelst…

  5. Micha sagt:

    Ich kann mich Pia nur anschliessen. Wieder ein Beitrag welcher Respekt verdient!

  6. Niki sagt:

    Oh mein Gott, dass liest sich wie ein Krimi. Ich hatte echt Gänsehaut. Schreibst Du, um solche Situationen überhaupt verarbeiten zu können? Damit klar zu kommen stelle ich mir sehr schwer vor. Hut ab vor jedem, der sich so für Tier (und Besitzer) einsetzt.

  7. atman sagt:

    das offene ende beschäftigt mich sehr.
    der optimist in mir glaubt aber nur das gute.

  8. DR FLO aus BS sagt:

    Verzeihung wenn ich mich nach Jahren der CTC-Abstinenz erdreiste die Krankengeschichte aus meiner persönlichen ‚humanmedizinischen‘ Sicht zu kommentieren:

    Seit froh über Eure Möglichkeiten die Lieben gehen zu lassen, seit froh nicht täglich diese Leichenschändung Namens Humanmedizin betreiben zu müssen

    Traurig bleibt es trotzdem

  9. docvapor sagt:

    Schön geschrieben.
    Immer wenn im Fernsehen Berichte aus der operativen Tiermedizin kommen, ertappe ich mich dabei, Parrallelen und und Unterschiede zum täglichen Treiben in der Humanmedizin zu ziehen, insbesondere linse ich viel nach den Narkosearbeitsplätzen und Tätigkeiten die mit der Vet-Anästhesie zu tun haben… Ob man als Humanmediziner da mal ein Schnupperpraktikum machen könnte?
    Dr.Flo kann ich mich in allem gesagten nur anschliessen.

    Liebe Grüße in die Schweiz!

  10. ChliiTierChnübler sagt:

    @Pia: Vielleicht ist es auch erschreckend, wie man selber abstumpft. Und über Leben und Tod entscheiden muss. Ich bin über jede einzelne Träne froh, die manchmal durchdrückt, nur so weiss ich, dass ich mich nicht verloren habe.
    @Klaeui: Nur wenn das Tier einen Schaden verursacht, leider nicht wenn es selber verletzt wird. Ich rate allen dringend eine Tierversicherung abzuschliessen. Tiere sind einem lieb und leider auch teuer. Wem 300 Franken für eine Tierheimkatze schon zuviel ist, der sollte sich kein Tier anschaffen.
    @RELGIB: Wein ist die andere. Rot.
    @Nachtlese: Zum Glück tue ich das nicht. So ist mir der Mensch mit seinen Abgründen immer noch ein Rätsel.
    @Micha: Danke Dir.
    @Niki: Ich wüsste so viel mehr noch zu schreiben. Leider weiss ich selber nicht mehr so genau, in welcher Form ich das nach all den Jahren und da nun mein Blog vielen Leuten aus meinem näheren Umfeld bekannt ist, noch darf.
    @Atman: Bleib ein Optimist. So ist es sicher besser.
    @Dr.Flo: Das bin ich mir bei jeder Euthanasie bewusst. Tiere finden wenigstens -meistens- ein würdigeres Ende als ihre domestizierenden Herrchen.
    @DocVapor: Bei Tiere geht es viel um Vertrauen und das sogenannte Handling. Die Veterinär-Anästhesie verläuft nicht nach klaren Regeln. Ein ängstliches Tier braucht eine andere Narkose, als ein bissiges, als ein gelassener Golden Retriever. Das braucht ein Gespür für Tiere und kann nicht erlernt werden. Deshalb sind Besucher in der Vorbereitung auch nicht erwünscht. Nicht wegen uns, aber jeder Mensch mehr in einer für das Tier eh schon beängstigenden Situation erhöht den Druck auf dieses noch mehr.

  11. Krankengeschichte ergänzen: