Wiederbelebung
Samstag, Januar 28th, 2012Kurz bevor der Körper aufgibt, in der Phase zwischen Leben und Tod, kann es zu sehr ungewohnten Lautäusserungen kommen. In der einen Sekunde steht der Unfallhund noch hechelnd in der Notfall-Box und plötzlich hört man mit einem Ohr dieses leise Stöhnen. Ein Hauch, der aber durch Mark und Bein geht, als hätte der Hund geschrien. Er kollabiert.
In diesem Moment rennen alle los. Boxentüre auf. Der Hund wird hochgehoben. Panisch im Todeskampf beisst er um sich. Ich muss ihm die Schnauze zuhalten, um nicht verletzt zu werden. Auf den Tisch, Maul auf, Zunge raus, Laryngoskop, Epiglottis mit dem Spatel runterdrücken, 11er Tubus rein, blocken, beatmen, ans Narkosesystem anhängen, Sauerstoff aufdrehen, weiter beatmen. Er wird in eine Narkose gelegt, damit sich der Körper erholen kann, der Hund keine Angst mehr vor dem Ersticken haben muss. Auf den wenigen Lungenareale, mit denen er noch atmen kann, darf nicht auch noch sein Körpergewicht lasten. Mit dem Stethoskop auskultiere ich, wie er korrekt liegen muss. Wie ein Uhrwerk wird der Atembeutel mehrmals pro Minute gedrückt, immer in der Hoffnung, dass er plötzlich wieder selbstständig tiefe Atemzüge nimmt. Weitere Furosemidgaben. Weitere Medikamente. Immer wieder beatmen.
Inzwischen wissen wir, dass ein grosses Gefäss gerissen ist. Und stossen nun an unsere Grenzen. Ab hier gehen Human- und Tiermedizin getrennte Wege. Zu recht! Thoraxchirurgie mit Spezialisten, Drainagen legen, wochenlange Nachbehandlung, enormer Aufwand, exorbitant hohe Kosten, und vielleicht am Ende auch ein toter aber teurer Hund.
Der Besitzer muss nun entscheiden. Er ist unterwegs. Es ist nun ruhig im Raum, nur die Beatmungsgeräusche und der Sekundenzeiger der Uhr an der Wand sind zu hören. Mir geht in diesen Minuten vieles durch den Kopf. Auch wie wir den Hund in diesem Zustand in eine Spezialklinik fahren können. Aber der Hund ist nicht versichert. Und es kämen Kosten von über zehntausend Franken auf die Besitzer zu. Immer trennt uns das Geld von den Möglichkeiten der Humanmedizin. Und die Ethik. Wie will man einem Hund erklären, warum an seinem Oberkörper Schläuche hängen mit kleinen Ballonen dran, die mehrmals täglich entleert werden müssen? Ein schmerzhafter Prozess, der den Hund vielleicht auf immer negativ prägen wird. Oder warum er wochenlang im Tierspital liegen muss, getrennt von seinen Besitzern. Wenn er überhaupt überleben sollte.
Die Sauerstoffsättigung wird immer schlechter. Der Besitzer trifft ein. Für unglaubliche zwei Minuten atmet der Hund normal, die Sättigung steigt. Ein weiterer Moment kurz vor dem Tod? Eine Reaktion auf den Besitzer? Beides ist nur spirituelle Spekulation. Danach muss er wieder beatmet werden. Bis der Besitzer entscheidet. Es ist sein Hund. Wir können nur die Möglichkeiten besprechen und eine Prognose stellen. Er spricht, ich nicke und dann leiten wir alles Nötige in die Wege.