Willkommen in der Schweiz


Willkommen in der Schweiz

Willkommen in der Schweiz. Ein Land, in dem Milch und Honig fliessen.

Ein Land, in dem Sozialhilfeempfänger teure Autos leasen können, dank unszureichendem Datentransfer zwischen den Ämtern. Gleichzeitig aber kinderreiche Familien zunehmend als „Working Poor“ in tiefere soziale Schichten rutschen. Ein Land, in dem Familienpolitik auf Kantonsebene bestimmt wird und es 15 Jahre dauerte, bis Ende 2006 endlich bundesweit eine gesetzliche Anpassung der Kinderzulagen angenommen wurde. Bisher zahlte das CVP-geprägte Wallis fast doppelt so viel Kinderzulagen aus wie Zürich, obwohl dessen dominierende Partei – die SVP – mit „Schweizer Qualität“ wirbt. Ein Land, in dem „Qualitätsproduktion“ mit Trauschein zusätzlich durch höhere direkte Bundessteuern erschwert wird.

Willkommen in der Schweiz. Ein einig Volk von Brüdern.

Ein Land, dessen Frauen erst seit dem 7. Februar 1971 ein Stimmrecht besitzen und es aber noch 20 Jahre dauern sollte bis auch der letzte der 26 Kantone – Appenzell-Innerrhoden – das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebende einführte.
Ein Land, mit 4 Landessprachen, dessen Vierte, das Rätoromanische, nur 0.5% der Schweizer Bevölkerung sprechen und dennoch jährlich mit Millionen an staatlichen Subventionen künstlich am Leben gehalten wird.
Im Gymnasium mussten wir uns zwischen Englisch und Italienisch entscheiden, Französisch war Pflicht und Rätoromanisch gab es nicht einmal im Freifach, dafür aber Russisch. Unfreundliche Französischlehrerinnen und der berühmte „Röstigraben“ trennen die Romands von den Deutschschweizern bis heute, was in den eidgenössischen Abstimmungen immer wieder deutlich zum Ausdruck kommt.
Den Rest der Deutschschweiz eint nur die Abneigung gegen den Sprachnachbarn Deutschland. Zürcher und Basler sind sich auch ausserhalb des Fussballplatzes spinnefeind und womit identifizieren sich eigentlich Aargauer?

Willkommen in der Schweiz. Das Land der Schokolade und des Emmentalers

Ein Land, dessen berühmtestes Produkt immer wieder negative Schlagzeilen macht. Trotzdem stieg der Umsatz um rund 7% auf 1.52 Mrd. Schweizer Franken. Kaum jemand macht sich Gedanken darüber und kauft fröhlich weiter Schokohäsli zu Ostern und Frigor-Schöggeli für die Verwandtschaft.
Ein reines Gewissen für das andere kulinarische Nationalgut, den Käse, schaffen wir Schweizer uns immerhin mit der längst überfälligen Revision des Tierschutzgesetzes.
In der Schweiz leben 1’588’000 Rindviehcher (Stand 2001). Rund die Hälfte davon geben im Schnitt 3’870’000 Tonnen Milch pro Jahr, was einer Milchleistung von abgerundet 5 Tonnen pro Milchkuh und Jahr entspricht. 42 Prozent werden zu Käse weiterverarbeitet. Um im europäischen Markt bestehen zu können, müsste sich der Kilopreis der Milch beinahe um die Hälfte senken. Um den Schweizerkäse im Ausland trotzdem konkurrenzfähig anbieten zu können, subventioniert der Staat jedes exportierte Kilo Käse mit durchschnittlich 5 Franken. Mit einer Milchpreissenkung würden ein Drittel der Milch-produzierenden landwirtschaftlichen Betriebe verschwinden, eine Entwicklung, der ich nicht nur als Tierarzt mit gespaltenen Gefühlen gegenüberstehe.

Es bleibt nicht nur zu hoffen, dass Übersubventionen an richtiger Stelle gekürzt werden, halbtote Sprachen richtig eingeschätzt und Abzocker im Sozialwesen entlarvt werden, sondern dass wir Schweizer erkennen, dass die Welt auch jenseits des Tellerrands weitergeht.

Willkommen in der Schweiz. Hier lebe ich, hier bleibe ich. Wie wählst Du?

 

20 Patienten zu “Willkommen in der Schweiz”

  1. StoiBär sagt:

    Mach Dir nichts draus. Solche Listen kannst Du in allen europäischen Ländern anfertigen.

    Euer Käse ist übrigens der Beste ;-)

  2. moi sagt:

    wunderbar, du sprichst mir aus der seele! kompliment!
    aber eines möcht ich noch erwähnen: ich freue mich jetzt schon wie ein kleines kind, wieder im knatsch mit meiner freundin, in freundschaft mit meinem freund einige „thunder kings“ in die luft zu jagen und dabei meiner ahnen zu gedenken, die damals die besten söldner waren – ich glaub ich wär auch ein guter krieger…

    ach und noch was: es ist wirklich erstaunlich, wie das mit dem nationalen zusammenhalt in der schweiz funktioniert hat. hörte mal in einem seminar was von pestalozzifeiern, die bewusst ab 1896 eingesetzt wurden, um die nation zu einen – war sehr interessant! er galt als prototypischer schweizer…

    ach und nochmals was: leider habe ich in nidwalden nicht so grosse wahlmöglichkeiten… aber dabeisein ist alles!

    nun: einen wunderprächtigen ersten august!

  3. MC Winkel sagt:

    Kann ich nicht viel zu sagen, komme ja nicht von droben!

    Aber das Sie jetzt in die Politik gehen; wer hätte das gedacht! :)

  4. linguist sagt:

    Ein tolle Ansprache zur allgemeinen Lage der Nation am 1.August, CTC !!! Ã?brigens, die Aargauer identifizieren sich am Liebsten mit den Zürchern…

    Trotz teuren Autos, donminierenden Parteien, (un)sichtbarem Röstigraben, Spinnefeinden aus Zürich (bzw. Aargau) werde ich nachhaltig Schokolade verspeisen, von Zeit zu Zeit Länder ausserhalb des Tellerrands bereisen und mich darüber freuen, dass ich trotz Swissness weiss wo ich hingehöre !

  5. Kay Tee sagt:

    guet gschribe!
    hätsch uf ds rütli söue!
    wüui itz dä blog uf mim däschbord ha, hesch mi itz zure stammläserin gmacht… riiiisä trick!

  6. ChliiTierChnübler sagt:

    @StoiBär: Immerhin kennt Deutschland das Frauenstimmrecht seit 1918!
    Ich habe übrigens ganz ein schlechtes Gewissen, dass 2 meiner Lieblingskäse – Caprice des Dieux und Fol Epi – aus Frankreich stammen. Glücklicherweise gibt es nun von Emmi den Alpenkräuterkäse, mein momentaner Lieblingskäse.

    @Moi: Danke. Interessant, ich werde mich mal genauer mit dem Thema der Nationalfeier auseinandersetzen, ich wusste bisher nichts darüber.

    @MC Winkel: Wenn, dann nur Familienpolitik. Es darf doch einem fortschrittlichen Staat nicht passieren, dass das Glück eigener Kinder durch massive Geldsorgen einhergeht. Das muss sich ändern!

    @Linguist: Vielen Dank! Basler hatten doch noch nie Mühe mit der Identifikation und das nicht erst seit Roger Federer, oder?

    @KayTee: Merci! Auf’s Rütli wollten schon viele, ob elegant gewandet oder kahlrasiert, da nützen auch Tricks nicht.

  7. luketown sagt:

    willkommen in dem land, in dem es trotz einigen unzulänglichkeiten der mehrheit saugut geht und sich trotzdem lieber über die misstände beklagt als sich über die schönen sachen zu freuen.

    willkommen in dem land, in dem es bürger gibt die sich lieber über die unterschriftensammlung der svp zu den kriminellen ausländern aufregen als anschliessend an der urne ihre stimme abzugeben.

    willkommen in dem land, das immer meine heimat sein wird, obwohl ich auf die welt gekommen bin und nicht auf die schweiz.

    willkommen in dem land, in dem sich die leute hoffentlich endlich mehr um die zukunft kümmern wollen als die vergangenheit zu bejammern.

    willkommen in dem land, in dem ich lieber abstimme als wähle, da meine meinung nicht die einer partei ist, sondern meine persönliche.

  8. ChliiTierChnübler sagt:

    @Luketown:
    Weil Missstände trotz der schönen Dinge nicht einfach verschwinden und Dauergrinsen daran nichts ändert.
    Weil es Leute gibt, die sich nicht einmal aufregen. Ã?ber gar nichts.
    Weil es ohne Vergangenheit nie eine Zukunft geben wird und
    weil Gesetze nicht einfach so simsalabim aus dem Hut gezaubert werden, dazu braucht es glücklicherweise immer noch Menschen und genau darum wähle ich Köpfe und keine Parteien.
    Meinungsfreiheit! Mehr davon.

  9. Simon Columbus sagt:

    Tja… deswegen hasse ich Französisch, kaufe holländischen Käse und mag am liebsten Bremer Schokolade…

  10. Mr. Meteoman sagt:

    hättest du das vor dem 1. august geschrieben, so haetten wir den ganzen Abend land diskutieren können.

    Was die Kindezulagen betrifft: ich bin erstaunt, dass du als Kind von selbstständigen Unternehmern, die keine Kinderzulagen kriegen, dies so toll findest. Kinderzulagen sind idiotisch, da sie nur angestellten Personen zu Gute kommen. Nicht nur deshalb kam die Voksinitiative, auf deren Umsetzung ich sehr gespannt bin. Kinderzulagen müssten in Form von Steurerleichterungen, oder eben in Form von Realzahlungen seitens Steueramt erfolgen.
    Was die Rätoromanen angeht: nicht nur Weltwoche lesen. Die möchten gerne eine Diktatur errichten hier in der CH, Minderheitenschutz gehört aber mit zu den wichtigsten Aufgaben einer Demokratie.

  11. ChliiTierChnübler sagt:

    @Simon Columbus: Bremer Schokolade, kenn‘ ich gar nicht…

    @Mr. Meteoman: Weil ich dann umsonst mehrere Stunden recherchiert hätte, Deine Argumente bringen mich immer so zum Nachdenken, dass ich es schlusssendlich gelassen hätte. Manno, wir haben wirklich kaum diskutiert gestern, nächstes Jahr gibt’s garantiert keine Hawaii-Toast mehr, dann hab‘ ich wieder mehr Zeit für die wichtigen Dinge (Saufen, Singen, Palavern).

  12. Michael sagt:

    Irgendwie ist es fuer mich schwer verstaendlich, dass so ein Beitrag von jemandem kommt der an ein Bloodhoundgangkonzert geht, aber naja… jedem das Seine.

    Zu den Bauern: Die Frage ist wohl, was so schlecht daran ist, wenn ein Drittel aller milchproduzierenden landwirtschaftlichen Betriebe eingehen wuerde. Die wirtschaftliche Staerke der Schweiz liegt nicht in diesem Bereich. Um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein muss noch manch einer von uns flexibel sein und sich weiterbilden. In einem Bereich werden Stellen gestrichen, an anderen Orten entstehen wieder welche.
    Es fragt sich halt, ob man die Bauern weiter Subventionieren will, nur weil wir ein bestimmtes (landschaftliches?) Bild von der Schweiz weiter erhalten wollen.

  13. ChliiTierChnübler sagt:

    @Michael: Sogar Bloodhound Gang haben sozialkritischere Texte als mancher Liebesdudel-Dödel…
    Du vergisst die Aufgabe der Bauern in der Landschaftspflege und im Forst. Bauern lassen Land brach um die Biodiversität zu erhöhen. Durch Subventionen wird zB ungedüngte Naturwiesen gefördert. Dadurch sind bestimmte einheimische, gefährdete Schmetterlingsarten wieder vermehrt anzutreffen. Was wird aus dem Land, wenn der Bauernbetrieb eingegangen ist? Bauland? Wie sieht dann unser Landschaftsbild aus?
    Du hast übrigens kein Profil, also kein Bloggerprofil meinte ich. Schade.

  14. SirParker sagt:

    Richtig guter Text, ich wusste garnicht, das es bei euch teilweise so krass zugeht… also wenn Du jemanden brauchst, der Deinen Einwanderungsantrag in die BRD unterstützt – auf mich kannste zählen!

  15. Florian sagt:

    @CTC:

    Wenn Du eine hohe Biodiversitaet moechtest, dann erreichst Du aber mit der Subventionierung von Milchprodukten genau das Gegenteil von dem, was Du erreichen willst ;-)

    Und was Bauland betrifft: das muesste einfach mal ein richtiger (nationaler) Zonenplan her, wenn wir nicht wollen, dass alles nach Aargau aussieht. Da aendern Bauern nichts daran, den jeder verkauft Land, wenn ers als Bauland verkaufen kann.

  16. Simon Columbus sagt:

    Bremer Schokolade: Die Anbieter Feodora und Hachez, insbesondere von letzeren Vollmilch Mandel-Amaretto…

  17. poomerang sagt:

    Jaja, der Innen- und der AuÃ?enblick. Der AuÃ?enblick von einer internationalen Organisation nahe der französischen Grenze in Genf ist ein recht guter. Von den Frauen ganz zu schweigen…

  18. ChliiTierChnübler sagt:

    @SirParker: Immerhin ist Musikdownload hier noch nicht illegal und Flickr ist auch nicht zensuriert, aber danke für das Angebot.

    @Florian: Ja meinst Du denn die Kühe fressen nur Kraftfutter? Die Rauhfutterration in Form von Grassilage und Heu produziert der Bauer selbst. Verwendet er da keinen Dünger und mäht erst nach einem bestimmten Termin, wenn die Kräuter und Blumenvielfalt auf der Wiese höher ist, ja dann trägt das sehr wohl zu einer Biodiversität in Flora und Fauna bei, oder?
    Richtiger Zonenplan? Pha, Vetterliwirtschaft gibt’s auch in der Schweiz und das nicht erst seit heute.

    @Simon Columbus: Jammie.

    @Poomerang: Die Frauen in Genf sind leider nicht repräsentativ für die Gesamtschweiz :(

  19. Westpfalz-Johnny sagt:

    das mit dem Frauenstimmrecht stimmt jetzt aber nicht wirklich??

    könntest Du denn zusätzlich zur Familienpolitik nicht auch noch in die Verkehrspolitik gehen und dafür sorgen, da� die Schweiz ein bisschen weniger Auto-feindlich wird?

  20. ChliiTierChnübler sagt:

    @Westpfalz-Johnny: Dochdoch, leider wahr, nicht sehr fortschrittlich, gell.
    Ich stand heute morgen auf der A1 2 Stunden im Stau und das mit Nachwehen von der Basler Gastfreundschaft und 2 IKEA-Regalen, die mich unbequem einquetschten im Auto, da zu lang. Da wäre ein vernünftiges Verkehrsmeldesystem schon mal ein Anfang gewesen. Sowohl Radio wie Staumelder haben erst informiert, als der Stau schon wieder fast vorüber war.

  21. Krankengeschichte ergänzen: