Der Tag der Frau – besondere Erinnerungen

Ich war 16, als ich ihn das erste Mal sah. Er gehört zu den „Grossen“, stand immer mit den Maturanden zusammen auf dem Raucherplatz in der 10-Uhr-Pause. Er war das, was wir Mädchen damals als typischen verschweizerten Surfboy bezeichneten. Ein echter Snöber also. Das Wort war damals frisch in Mode, man ging halt „snöben“ wenn man kuhl war und wir waren kuhl. Oder meinten es zumindest.

Meistens findet man in einer so grossen Schule wie der unseren verschiedene Gruppierungen:

Wir hatten die Verbindungstypen, die sich regelmässig die Lampe füllten, diese bei diesen Anlässen dann stets auch noch mit einem merkwürdigen Hut schmückten und irgendwelche mir unbekannten Lieder in Ringelreih vortrugen. Eine merkwürdige Spezies Mensch Mann, aber alle sehr nett.

Dann gab es damals die DavidBowie-verehrenden Gruftis, die sich meistens wie Robert Smith von TheCure kleideten und bemalten. Sie vermieden meistens den Kontakt mit den Normalsterblichen und waren in den ersten Morgenstunden stets übelst gelaunt. Ausserdem bewiesen sie, dass Nylonstrumpfhosen auch mit 1001 Löchern noch zusammengehalten und getragen werden konnten.

Weiter gab es die Wirtschaftstussis. Damit sind sowohl männliche wie weibliche Exemplare gemeint. Meistens waren sie Timberland-beschuht in Gruppen anzutreffen. Die Mädels immer sehr in biederschick mit Kashmirrolli und Perlenkettchen, Levi’s ohne Fransen oder Löcher und Halbschühlein, die auch mal Absatz haben durften. Ihr männliches Pendant in einem zeitlosen Juristenoutfit, so dass man bei einer Begegnung Jahre später nur sieht, dass Lacoste durch Tommy Hilfiger ersetzt wurde.
Die Tussenmädchen hatten 2 Anführerinnen, die aber alles andere als brav waren und die beiden „Damen“ sind auch heute noch vielen bekannt. Wären wir in den Staaten, wären das wohl die Cheerleaders gewesen.

Anders als in den Staaten, gab’s keine typischen Streber. Irgendwie war an unserer Schule das Lernen nie verpönt und zumindest ich hörte nie dass jemanden als „Streber“ beschimpft wurde. Aber es gab D. Er wurde jeden Morgen mit dem Mercedes zur Schule gefahren, manchmal von der Mutti, öfters aber vom Buttler. Er trug immer ein gut gebügeltes Hemd mit Pulli darüber und Hosen mit Bundfalte. Im Sommer wagte er sich in khakifarbenen knielangen Safarihosen in die Schule, mit hochgezogenen Socken versteht sich. Er hatte einen Freund, der etwas zu kurz gewachsen war und immer einen überdimensionalgrossen Rucksack mit sich herumschleppte. Meistens sah man den Rucksack lange vor ihm.

Irgendwie blieben uns die kokainabhängigen Technoteenies erspart. Dafür gab es umso mehr Hippedihopper. Die Baggy Jeans konnte gar nicht genug weit sein und ich kannte deswegen trotz null reellen Männererfahrungen jede erdenkliche Shortsmarke.

Musiker gab’s natürlich auch bei uns. Sie vermischten sich meistens mit den Gruppen. Viele davon waren eher alternativ eingestellt, rauchten Gras und man fand sie eigentlich überall, wo was los war in Solothurn. Viele davon waren wie ich bei den Pfadfindern, dem grössten Partnervermittlungsinstitut der Schweiz. Sozialistisches Gedankengut, gepaart mit guter Rockmusik und jeder Menge Spass, das passte sehr gut in die schöne Stadt am Jurasüdfuss.

Gut dazu passten hier auch die Snöber. Sie trugen zwar statt Batik Burton, waren aber auch immer an den guten Indie-Konzerten. Ich trug Batik und dank eines Ferienjobs bald auch Oxbowshorts und Burton, im Winter mit Wildleder-DocMartens und Schottenkarohosen von einem Flohmarkt im Norden Londons, im Sommer Flipflops, Surfshorts und Bikinis von BananaMoon. Ich las Sartre, Frisch und Stephen King und ich fuhr seit 2 Jahren Snowboard.
Und da war er. Blonde leichtgewellte Haare, die ihm schulterlang und etwas zerzaust herunterhingen. Snowboardpionier der ersten Stunde. Organisierte mit seinen Freunden die kuhlen „Mind-the-Gap“-Parties im alten Kofmehl und trug immer ein metallenes Burton-Abzeichen. Bis es eines Tages nach dem Tag der Frau am Hals meiner besten Freundin hing. Doch damit sollte unsere Geschichte erst beginnen…

Tags: ,

22 Patienten zu “Der Tag der Frau – besondere Erinnerungen”

  1. Bastian sagt:

    Ah, schön geschrieben. Das schreit nach fortsetzung Chnübli!

  2. Captain Cook sagt:

    Waren es Mutanten oder Maturanden?

  3. stb sagt:

    Hippedihopper….rofl!

    @cc: mutanten…yeahr! ;)

  4. chliitierchnuebler sagt:

    @Bastian: Soll ich?

    @Captain Cook: :) Immer wieder dieses vergessene „d“. Dann wird daraus die Anektote, der Doktorant, der Maturant… Danke!

    @Stb: Mutanten, würde sicher auch passen. Irgendwie war das so eine geile Zeit, das muss ein Paralleluniversum gewesen sein.

  5. Bastian sagt:

    @chnübli: Aber sicher doch…

  6. fl sagt:

    kuhlen Schreibstiel hast du! Immer interessant zu lesen… dieser Beitrag könnte auch von meiner Schule stammen ^^

  7. Ray sagt:

    „…so dass man bei einer Begegnung Jahre später nur sieht, dass Lacoste durch Tommy Hilfiger ersetzt wurde….“

    Das, Chnübli, war jetzt ganz grosses Kino. Super schöne Schreibe. Hammer!

  8. manchmal winkel(s)advokat sagt:

    Wirtschaftstussi, männlich – schuldig im Sinne der Chnübli ;-) aber zum Hilfiger hab ichs nicht mehr geschafft, das war mir dann schon zu hippedihopp (und als Studi auch zu teuer …) und zur Strafe musste ich dann Jura studieren nicht unter 2 Staatsexamen … C’est la vie.

  9. yogurtnature sagt:

    Wow, Kompliment Chnübli! Einmal mehr sehr schön geschrieben. Musste ein paar mal lachen! Auch weil ich die eine beschriebene Person aus meiner Primarschulzeit kenne und diese bereits dort – sagen wir mal wegen seinem überkorrekten Auftreten – eher negativ aufgefallen ist. Oft gehänselt, musste der arme Schüler sogar noch auf die Radprüfung hin lernen Fahrrad fahren… Und an der Kanti hatte er glaub eine Ehrenrunde einzulegen. Chnübli, musst mal auf seine Website gehn! Leider hat er sein amüsantes Gästebuch entfernt…

  10. Mr. Meteoman sagt:

    L**** ? [Zensur]
    P*** und Y****? [Zensur]
    der Verbindungstyp bin ich, allerdings heisst der Hut ‚Couleur‘

  11. chliitierchnuebler sagt:

    @Bastian: Vielleicht.

    @Fl: Merci. Das gefällt doch und macht Lust auf mehr.

    @Ray: Danke Ray, ich könnt glatt noch weiter schreiben.

    @Manchmal Winkel(s)advokat: Willkommen Wirtschaftstussi. Und, auch eine perlenkettentragende Jurastudentin an Deiner Seite?

    @yogurtnature: Sorry für die Zensur, aber das ist eine Geschichte und da werden keine Namen genannt.

    @Mr. Meteoman: [Zensur] Keine Namen, wir wollen doch der Fantasie er Leute freien Lauf lassen.

  12. Ray sagt:

    Tu’s um Himmelswillen!

  13. rouge sagt:

    Ach ja die Grufties. Die gabs in meiner früher Jugend auch

  14. er sagt:

    @rouge: grufties? hatten wir das an unserer schule?

  15. rouge sagt:

    Glaubs nicht direkt an der Schule aber die Schwester von unserem Kumpel war ein Gruftie!

  16. er sagt:

    ach ja, die schester von r

  17. Mme lila sagt:

    Feinfühlig und inspirierend geschrieben: Fühle mich subito in deine damalige Welt versetzt.
    Tami. Echt gut, im fall.

  18. steuertusse sagt:

    ich bin schon auf den nächsten teil gespannt, fühlte mich kurzeitig in meine Schulzeit zurückversetzt.

    ;o)

  19. genti sagt:

    Gut zu wissen, dass es irgendwie überall gleich zu und her ging im Gymnasium. Wobei ich die Einteilung vielleicht etwas anders gemacht hätte.

    Bist du denn auf dem Lande ins Gymnasium?

  20. axsnoxboarder sagt:

    Erinnere mich auch gerne zurück. Ich war der Surferboy, nur in einem anderen Kino. ;)

  21. Bo Lensen sagt:

    Der gute Knecht R. scheint eine allseits bekannte Persönlichkeit zu sein. Wer immer in seinem Schlitten vorfährt, lenkt wohl automatisch die Aufmerksamkeit auf sich. Da erstaunt es kaum, dass besagter Knecht R. mittlerweile das Rampenlicht geradezu sucht. ;)

  22. Trackbacks

    1. ChliiTierChnübler » Blog Archive » Darf ich vorstellen

    Krankengeschichte ergänzen: