Ich gehöre nicht zur „Generation tillate.com“
Freitag, Juni 19th, 2009Ich gelte ja bekanntlich als nicht besonders scheu, wenn es darum geht, mich digital in Wort und Bild in Pose zu werfen. Darum darf ich es mir auch erlauben, über Folgendes zu lästern:
Egal welchen Anlass man besucht, es ist immer jemand dabei, der darum bemüht ist, jeden einzelnen der Teilnehmer aus diversen Winkeln abzulichten. Alles muss fotografiert werden. Selbst die Rechnung im Restaurant scheint manchen wichtig genug. Bevor man sein Essen auch nur anfassen darf, müssen die Fotografen am Tisch jedes einzelne Menu für die Nachwelt festhalten. Glück hat, wer ein bereits bei früherem Besuch verewigtes Gericht bestellt. Der kann nämlich ohne Intervention anfangen zu essen.
Heute muss man es sich zweimal überlegen, ob man total abgekämpft nach der Arbeit eine Einladung zum Grillieren annehmen will. Ausser man will sich am nächsten Morgen auf Facebook angucken, wie müde man tatsächlich ausgesehen hat. Facebook hat keine Funktion, bei der man anderen verbieten kann, die eigene Person zu markieren, ausser man sperrt seine Fotos gleich allen. Bei mir hat dieser Umstand bereits eine präventive Wirkung und bei gewissen Bekannten lasse ich den Alkohol gleich ganz weg.
Gerade Blogger sind dazu prädestiniert, überall und immer alles zu dokumentieren. Während einige die Privatsphäre der anderen respektieren, sind andere geradezu krankhaft darum bemüht per Bild zu beweisen, dass sie an einem Anlass teilgenommen haben und – das ist äusserst wichtig – dass sie diesen nicht alleine besucht haben. Deswegen wird bevorzugt ein so genannter Schnappschuss gemacht. Das soll die Realität besonders gut wiedergeben. Gestellte Fotos sind verpönt, es könnte ja ein Gruppenbild entstehen, an dem man Freude haben könnte. Meistens wird dann noch aufgezählt, wer alles da war, was gesprochen wurde und wer wieviel getrunken hat.
Ich scheue mich nicht, den Fotografen im Freundeskreis zu sagen, dass mir das Geklicke auf die Nerven geht. Je weniger gut ich jemanden kenne, desto schroffer reagiere ich. Vor allem das KlickKlack der Superkameras an Veranstaltungen hat schon dazu geführt, dass ich mich gar nicht mehr auf das Dargebotene konzentrieren konnte.
Auch meine Freundinnen hier im Institut sind stets so organisiert, dass mindestens eine der Damen eine Digicam dabei hat. Für sie ist es besonders wichtig alles zu dokumentieren. Sie sind meistens nur ein Jahr in der Schweiz und die Erinnerungen werden in einem für alle Mitarbeiter zugänglichen Ordner auf dem Transferserver gelagert. Da hier Facebook äusserst beliebt ist, findet man sich kurz darauf bald mit einem Bier in der Hand und Schlafzimmerblick für die Nachwelt markiert.
Nun aber genug gelästert über die Fotografen, denn es kann noch schlimmer kommen. Schliesslich gibt es auch noch Kurzfilmchen. Zum Bier und Schlafzimmerblick gesellen sich dann auch noch lallende Aussagen, deren Sinnlosigkeit mit dem Alkoholgehalt direkt korreliert. Eines davon habe ich selbst via Youtube zugänglich gemacht, die anderen sind glücklicherweise schwerer zu finden.
Gut, feiere ich diesen Samstag mit Freunden, die mehr Wert auf Privatsphäre legen. Ich werde es geniessen können, mich gehen lassen. Und die Kopfschmerzen werde ich am Sonntagmorgen haben und nicht am Montagmorgen beim Betrachten meiner exzessiv-lasziven Posen auf Fotos im Internet.
Ist meine Reaktion übertrieben oder stört es das ständige Geknipse auch andere? Oder bin ich einfach schon zu alt und die „Generation tillate.com“ findet das alles völlig in Ordnung?